Zwei Termine – zwei Welten.
Kürzlich besuchte ich zwei Veranstaltungen, die gegensätzlicher nicht sein konnten.
- Fachgespräch „Starke Familien: Alleinerziehende nicht alleine lassen“ der Grünen Landtagsfraktion in Baden-Württemberg
- „Elternschaft auf Augenhöhe“ – ein Themenabend in Heilbronn mit Marc Serafin, Jugendamtsleiter und zugleich Doppelresidenz-Lobbyist für das Wechselmodell per Gesetz
Das Fachgespräch
Die Veranstaltung der Grünen zeigte deutliches Interesse und Engagement, sich des Themenkomplexes Familien insbesondere in ihrer verletzlichsten Form – der Alleinerziehenden und ihrer Kinder – fachlich fundiert anzunähern. Eine Veranstaltung auf hohem Niveau, die vor allem eines im Blick hatte: die sehr heterogene Gruppe der Alleinerziehenden – Eltern, die aus den verschiedensten Gründen und in verschiedensten Konstellationen in diese Situation geraten sind, die sich letztlich keine_r von ihnen ausgesucht oder sich als Lebensform gewünscht hat. Ebenso galt die Aufmerksamkeit ihren Gemeinsamkeiten: Die hohe ökonomische Verletzlichkeit aufgrund belastender und benachteiligender Strukturen in Gesellschaft, Arbeit, Recht und Finanzen (Steuern und Leistungen) und breit gestreuten, fast zellulären Angeboten, Hilfen und Leistungen, die leider oft Gegensätzlichkeiten aufbauen.
Die Veranstaltung der Grünen machte deutlich: Das Ziel von Gesellschaft und Politik muss sein, dieser heterogenen Gruppe in ihrer Verschiedenheit viel gerechter zu werden anstatt zu pauschalisieren, und über diese Gruppe hinaus insgesamt Lebens- und Familienmodelle gerechter zu behandeln, deren Leistungen für die Gesellschaft in Form von Care-Arbeit zu respektieren und anzuerkennen. Außerdem eine rechtliche wie strukturelle Basis zu schaffen, die Kinder nicht zur Armutsfalle für ihre Eltern und derzeit vor allem für ihre Mütter werden lässt, was häufig in Kinderarmut mündet. Letztere ist – anders als von der Politik bis heute oft pauschalisiert – keine Gefahr allein für „sozial schwache“ oder wenig gebildete Elternhäuser. Auch Akademikerinnen laufen trotz Job durchaus Gefahr, mit ihren Kindern davon betroffen zu sein, sobald sie sie alleine groß ziehen.
Die „Doppelresidenz“
Auf Seiten der Wechselmodell-per-Gesetz-Vertreter hingegen wird eine einseitig-defizitäre Einschätzung der Alleinerziehenden-Familie aufgerollt und als „dysfunktionale Rumpf-Familie“ abgewertet. So auch von Serafin auf der Veranstaltung in Heilbronn. Diese Sicht macht sich den mittlerweile in der Gesellschaft verankerten Wunsch des Rollenwandels zueigen, weg von der Hausfrau und Mutter zur partnerschaftlichen Aushandlung und erwerbstätigen Gleichstellung. Das Problem daran: In solch einer Weltsicht werden diese Ziele als bereits realisierte Fakten angesehen. Dass dies längst nicht so ist – davon sprechen sowohl regalmeterweise fundierte Statistiken als auch das zähe Ringen in der Politik seit Jahren eine beredte Sprache – wird konsequent ignoriert und ausgeblendet.
Hinzu gesellt sich in der Väterrechtler-Sicht das Paradigma der unterstellten gleichen Konfliktanteile zwischen strittigen Elternteilen. Das Familienrecht wird für seine konflikt-belohnenden und auf Einzelzuweisung konzentrierten Regelungen kritisiert und als ursächlich für die Bildung von Alleinerziehenden-Familien gesehen. Väter werden vor allem als auf Zahl- und Besuchsvater reduzierte Elternteile empfunden. (Tatsächlich machen die Wechselmodell-Lobbyväter lediglich ca. 6% der Väter aus. Sehr viele Trennungsväter interessieren sich entweder gar nicht oder zu selten für ihre Kinder, was von deren Müttern zu recht oft beklagt wird.)
Dieser so behaupteten Konstellation, die freilich viele Fakten ignoriert, wollen die pauschalen Wechselmodell-Befürworter begegnen mit einem restriktiven Familienmodell, das einen Anspruch auf Bindungsaufbau von Beginn an, also auch bei Säuglingen, für alle genetisch an Kindern Beteiligten formuliert, gleichzeitig aber Erziehungsfähigkeit in einer weiten Fassung („fit and loving parents“) als zentrale Voraussetzung postuliert.
Probates Mittel der Bindungsgarantie für Väter soll das als „Doppelresidenz“ sprachlich hochgejazzte Pendlerleben der Kinder sein – als ob Pendelkinder samt Trennungsarmut in Palästen residierten statt oft beengt und in Mangel zu leben, man denke nur an die um sich greifende Mietenexplosion, die selbst Familien bis in die Mittelschicht zu schaffen macht. Zwingende Voraussetzung für eine Vater-Kind-Bindung, so die Lobbyvorstellung, sei die quantitativ gleiche Zeitaufteilung des Kindes zwischen den Haushalten der Eltern. Im Trennungsfall soll laut Väterlobby nur in belegten Fällen von „Erziehungsunfähigkeit“ oder unmittelbarer Gewalt gegen das Kind (aber nicht in Fällen von Gewalt ggü. der Frau – hallo, Istanbul Konvention!) abgewichen werden.
Präventiv soll ein verpflichtendes Beratungskonzept bereits vor Konflikten in die Familien eingreifen. Im Trennungsfall sollen verpflichtende Coachings (wer bezahlt die?) und Sanktionen bis hin zum Sorgerechtsentzug Kooperation erzwingen, bei Hochstrittigkeit die sogenannte „parallele Elternschaft“ (Übergabe über KiTa/Schule, starre Betreuungsregelung) als Übergangslösung mit bleibendem Druck zur Kooperation greifen. So referiert es Serafin an jenem Abend in Heilbronn.
Erschreckende Gefälle
Nach diesen beiden Veranstaltungen offenbart sich ein erschreckendes Gefälle in den Sichtweisen auf Lebenslagen und Bedürfnisse von Alleinerziehenden bzw. Nachtrennungseltern:
Auf der einen Seite die Bereitschaft, die Lebenslagen besser kennenzulernen und auf sie einzugehen, die vielschichtigen, unterschiedlichen Lebenssituationen, Schwierigkeiten und Nöte auszudifferenzieren und Zusammenhänge besser zu verstehen. Auf der anderen Seite eine hohe Bereitschaft zu Eingriffen, Reglementierungen und Vorgaben bis hin zu Drohungen mit und Umsetzen von Sanktionen.
Im Gegensatz zur behaupteten Modernität wird im Pro-Wechselmodell-Lager ein erzkonservatives, lediglich modern angespraytes Familien-Bild als Vater-Mutter-Kind-Triade – in dieser Reihenfolge! – propagiert, das ganz bewusst einseitige Abhängigkeiten schafft und zementiert anstatt sie zu lockern und zu erleichtern.
Der Wechselmodell-Abend mit Serafin zeigt eine gravierende Schieflage im Vergleich zur Grünen-Veranstaltung hinsichtlich Kenntnissen struktureller Gegebenheiten in der Gesellschaft und der Bereitschaft, diese anzuerkennen und zu gestalten. Ob man sie seitens der Zwangs-Wechselmodell-Befürworter nicht sieht oder nicht sehen will, sei dahingestellt.
Hier wird jedenfalls ausgeblendet, dass der postulierte Rollenwandel immer noch zumeist Wunschdenken ist, das realiter sowohl personell als auch strukturell bisher scheitert und deshalb die Kind-Mutter-Vater-Familie nach wie vor die Regel darstellt. In der erwirtschaftet das Hauptfamilieneinkommen immer noch der Vater, die Hauptbetreuungsleistung erbringt die Mutter (wodurch für das Kind die Hauptbindungsperson die Mutter ist), die allermeist in Teilzeit arbeitet – mit allen brutalen Folgen hinsichtlich ihrer faktischen Erwerbsfähigkeit und Altersabsicherung. An diesen Konsequenzen gehen Väter vor wie nach einer Trennung schadlos vorbei.
Es wird ebenso ausgeblendet, dass Konflikte, die zu Trennungen führen, eben gerade nicht zu gleichen Anteilen bei beiden Partnern liegen, was schon aufgrund der unterschiedlichen Teilhabe an der Partnerschaft zwangsläufig ist. Die häufige ökonomische Abhängigkeit der Mütter von ihren Partnern erzeugt ein massives Ungleichgewicht, das vor allem in Trennungs-Konflikten aufbricht und deutlich zutage tritt – Katharina Martin hat das Problem bereits 2005 in ihrem Buch „Bis das Geld euch scheidet. Finanzielle Gewalt in Beziehungen“ beleuchtet.
Es wird außerdem ausgeblendet, dass die defizitären Eigenschaften der Alleinerziehenden-Familie auf strukturellen und faktischen Benachteiligungen beruhen, weil immer noch Maßstab das Paradigma der binären Kleinfamilie ist.
Das Kind auf dem Opfertisch der heilen Familie
Das „heile“ Bild der binären Kleinfamilie aus den 50ern wird im Wechselmodell-Kosmos lediglich auf moderne Sichtweisen aufgepfropft, und ihm wird im Falle einer Trennung vieles geopfert: Der Aufbau eines sanktionierend-restriktiven Kooperationskorsetts erschwert in Fällen häuslicher Gewalt zusätzlich das Aufbegehren der Betroffenen, da es sämtliches natürliches Schutzverhalten der Opfer in diesem System pathologisiert und stigmatisiert – was unmittelbar zu weiterem Druck führt, wie es zum Teil schon heute an Familiengerichten passiert. Hier wird nicht mehr von häuslicher Gewalt, sondern nur noch verharmlosend von „Elternkonflikt“ gesprochen. Die Retraumatisierung durch diese Konstellation schädigt die Betroffenen zusätzlich. Die Beweislastumkehr – also die Verschiebung aus der Einzelfallprüfung in den Opferbeweis – führt dazu, dass das gesamte Dunkelfeld mit vollem Zugriff auf die Betroffenen durchrutscht.
Das Bild der „fit and loving parents“ erweitert das problematische Konstrukt der „Erziehungsunfähigkeit“ auf einen Anspruch der Erziehungsfähigkeit, der aktiv definiert wird. Das produziert im Hinblick auf (unterstellte) Krankheit und Behinderung erhebliche Eingriffsmöglichkeiten des Staates, die weit über das bisherige hinausgehen und im Streit als Kampfmittel benutzt werden können.
Die umfassende Beratungspflicht schon vor Konflikten zeigt einerseits, dass es den Vertretern nicht nur um den Eingriff im Streitfalle geht, sondern das Zugriffsrecht der Väter bereits präventiv abgesichert werden sollen. Andererseits produziert das eine privatwirtschaftliche Berater- und Ausbildungsindustrie, die Familie in ein kapitalisiertes Steuerungssystem verschiebt – man könnte es auch eine Privatisierung und damit Outsourcing eines Teils der Familienpolitik nennen. Die Politik, die hier eigentlich umso mehr gefordert ist, würde sich so der dringenden Regelungsbedarfe entziehen und die Konfliktlösungen vollends ins Private verschieben.
Der als absolut postulierte Anspruch genetisch beteiligter Väter auf Aufbau einer Bindung des Kindes macht nicht einmal davor Halt, entgegen sämtlicher wissenschaftlicher Erkenntnisse selbst Säuglinge von der Mutter zu trennen und blendet alle Folgen daraus für Kind und auch Mutter aus.
Richten soll all das schließlich ein restriktiv-sanktionierendes System, von dem die Wechselmodell-Lobbyisten aus eigener Betroffenheit eigentlich wissen, dass die fehlenden Kompetenzen der am Familiengericht Involvierten – von Jugendämtern über Verfahrensbeistände bis hin zu den RichterInnen – zu falschen Entscheidungen führt. Ihre Vorschläge zielen also nicht darauf, die Situation an Familiengerichten zu verbessern, indem die dort aktiven Fachleute besser ausgebildet und befähigt werden, exakter zu beurteilen. Stattdessen sollen einseitig Zugriffsrechte installiert und ausgebaut werden.
Wie wollen wir Familie gestalten?
Die Fragen, die ich mir stelle, sind: Wie sollen wir den Herausforderungen des Gesellschaftswandels weg von lebenslangen Zweierbeziehungen im Familienbild begegnen? Wollen wir die unterschiedlichen, heterogenen Bedürfnisse aufgreifen und strukturelle Veränderungen schaffen, um sie möglich zu machen und zu unterstützen? Und zwar bereits bei Gründung einer Familie, ab Schwangerschaft und Geburt? Wollen wir den Fokus darauf legen, dass Familie da ist, wo Kinder verantwortlich-verlässlich in einem Beziehungsrahmen beim Aufwachsen kontinuierlich begleitet werden, mit sicheren Bindungen zu den Menschen, die die Verantwortung für sie übernehmen, in stabilem Umfeld, solange nur Kindeswohl und -wille beachtet werden? Oder wollen wir einfach fest daran glauben, dass sich das alles schon regelt, im Konfliktfall konstruierte Rechte verteilen und Beteiligte in ein restriktives Korsett zwingen, um ein Bild zu erhalten, das wir lediglich bunter anmalen?
Ich weiß, welchen Weg ich einschlagen werde.
Schöner Artikel! Leider werden „Frauenrechte“ oft immer noch neoliberal gelsesen. Mütter bleiben außen vor. Kinderrechte werden mit Vaterrechten verwechselt bzw. umdeklariert. Dass das alles rückwärtsgewandt ist, habe ich hier leider zum ersten Mal bei euch gelesen. Gleichberechtigung eigentlich gleiches Zugriffsrecht zweier Menschen, auf eine dritte Person ist auch absurd, hier werden Errungenschaften des Feminismus gegen Kinder und Frauen verwendet, um am Ende wieder Macht und Gewalt auszuüben über das Kind und sie, und das unter der Begründung genetische Zugehörigkeit. Männer sind auch immer noch priviligiert in eigentlich allen Gesellschaftssystemen. Man wird nur eines so schaffen: Frauen bekommen keine Kinder mehr
Danke, das ist eine ganz wunderbare und gelungene Gegenüberstellung der möglichen Haltungen! Weiter so, Sie zeigen hier ein wichtiges Engagement. Spiegeln Sie diese Wahrnehmungen auch den politischen „Playern“ zurück. Damit diese nicht weiterhin ignorant und blind bleiben können und nachher lasch sagen: „Einen Versuch war es ja wohl wert!“
Was am Wechselmodell erzkonservativ ist, kann ich nicht nachvollziehen. Konservative Menschen sehen die Hauptaufgabe von Frauen nicht in der Erwerbstätigkeit, sondern in der Familienarbeit. Das würde sich von diesem Warte aus gesehen auch nach der Trennung fortsetzen. Nein, die Männerrechtler und Väterrechtler in den konservativen Zusammenhängen wollen nicht das Wechselmodell, weil sie konservativ sind, sondern weil sie ihre „Rechte“ durchsetzen wollen, weil sie Frauen unterdrücken wollen und in vielen Fällen Frauen hassen und verachten. Sie wollen es, weil sie Kinder nur als Objekte wahrnehmen können. Dies hat mit Konservatismus nichts zu tun. Es kommt da ein besonderes pathologisches Moment dazu, das sich genau so auch bei „linken“ Männern finden dürfte.
Liebe Bettina, genau das war mit erzkonservativ gemeint. Die Definition der Frau und der Kinder als Besitz des Mannes.
Die Form ist dabei tatsächlich egal. Das funktioniert in zugewiesenen Rollen genauso wie in Erwerbsobliegenheit.
Das perfide ist der Anstrich dieser Rückwärtsgewandtheit als Gleichberechtigung, weil die Frau doch jetzt auch in der Erwerbsarbeit steht.
Im Kern ändert sich also nichts bzw. geht es auf Rückwärtsgang.