Vor ein paar Tagen hat MIA Christina in der Huffington Post geschildert, wie sie sich als „extrem Alleinerziehende“ fühlt. Nachdem wir ihren Beitrag geteilt haben, äußerten sich zahlreiche Mütter über ihren Alltag ohne Ruhepausen und Unterstützung. Die Kommentare haben uns Tränen der Wut in die Augen getrieben. Manche Frauen meinten auch, dass Jammern doch nichts bringe und man doch bitteschön nicht von anderen erwarten solle, dass diese Probleme lösen, die Frau sich selbst eingebrockt hätte. Dann ist uns der Kragen geplatzt. Wir haben uns hingesetzt, furiose Zeilen heruntergetippt, die Datei gelöscht und den Computer wieder heruntergefahren. Denn Wut bringt gar nichts. Viel lieber träumen wir davon, wie es anders sein könnte. Als Solo Mama im Jahr 2030 in Deutschland. MIA versucht sich an einem Gedankenexperiment…
„Den Grundschulplatz für meine ältere Tochter habe ich relativ einfach bekommen. Das lief im Grunde genommen genauso entspannt ab, wie bei der Kitaplatzsuche für die Kleine. „Prima, das Sie so unmittelbar in unserer Nähe wohnen“, strahlte mich die Direktorin damals an. „Dann kann ich Ihnen gleich helfen. Im Formular der zentralen Vergabestelle der Stadt wird ja abgefragt, ob ein Auto vorhanden ist, oder zwei Elternteile, die sich das Bringen und Abholen auch mal teilen können. Ansonsten darf ich Sie quasi direkt vorrücken lassen. Das mit dem Hortplatz ist in Ihrer Situation natürlich kein Problem“. Und so kam es, dass wir einen Schulweg von 20 Minuten von Tür zu Tür haben, was den Alltag vereinfacht. Den Hort, in den meine Tochter gehen kann, kann ich kaum genug loben. Super entspannte und gut bezahlte Erzieherinnen spielen nicht nur mit den Kindern, ich kann mich auch immer felsenfest darauf verlassen, dass die Hausaufgaben der Großen fehlerfrei gemacht sind. Die Kinder haben sich sogar beim Abholen schon am frühen Abendbrot Buffet des Hortes bedient, sind also in aller Regel satt. Wenn wir nach meinem Tag im Büro als Familie zusammen kommen, beginnt unsere gemeinsame Zeit also sofort nach dem Betreten der Wohnung. Zumindest bis um acht Uhr am Abend, denn da kommt ein- bis zweimal die Woche unsere staatlich finanzierte Leihoma zu den Kids. Ich kann dann mit Freundinnen zum Yoga. Für unsere Helferin ist es übrigens selbstverständlich, mal die Geschirrspülmaschine anzuwerfen oder das Wohnzimmer durchzusaugen. Das bessert ihre Rente auf und sie fällt aus der Altersarmut raus.
Das „Home-Office Gesetz“ flexibilisiert unser Leben.
Es ist schon beachtlich, was die Kommunen da an Betreuung und Hilfe in Solo-Familien investieren. Obwohl es sich im Endeffekt wieder rechnet, denn durch den Sport habe ich schon viel weniger Wehwehchen und falle seltener im Büro aus. Wobei Krankheitstage gar nicht mehr so ein Thema sind: Durch das 2025 in Kraft getretene Home-Office Gesetz kann ich in nicht nur in Notfällen sondern auch ohne spezielle Begründung zweimal pro Woche problemlos von zu Hause aus arbeiten. Dann muss ich die Kinder bei Krankheiten auch nicht in der Krankenstation lassen, die es mittlerweile in jeder Kita und Schule gibt, samt liebevoller Pflege durch eigene Kinderkrankenschwester. Ich weiß, dass mein Arbeitgeber da erst total kritisch war und den Hörer auf die Gabel knallte, als ich ihn auf meine Rechte hinwies. Mittlerweile hat er aber gemerkt, dass weder die Welt untergeht, noch die deutsche Wirtschaft kollektiv mit der Pleite zu kämpfen hat. Eigentlich ist er sogar viel zufriedener mit mir. „Frau Hofstadt“ grinst er mich letztens an, „Mütter wie Sie sind nicht nur hochmotiviert und verlässlich, Sie wechseln auch nicht so oft den Arbeitsplatz wie die männlichen Kollegen. Sie sind quasi meine Lebensversicherung“. Und das bin ich auch. (Ganz zu schweigen davon, dass mein Chef nächstes Jahr in Rente geht und ich dann aufgrund rigider Quotenregelungen vermutlich eine neue Chefin haben werde, die selbst Kinder hat.) Denn alles, was für ein Arbeiten im Home-Office notwendig ist, hat mir unser IT’ler zu Hause in nullkommanix auf den Laptop installiert. Wenn ich also um fünf Uhr morgens senkrecht im Bett sitze, weil die Kleine ihre Milchflasche verlangt und ich dann nicht mehr einschlafen kann, fahre ich den Computer hoch und tippe emsig Formeln in Excel-Tabellen. Dafür kann ich die Mädels dann auch schon nach dem Mittagessen abholen und mit ihnen einen Ausflug ins Planetarium unternehmen.
Alle Kinder haben teil durch die „Kids Card“.
Es ist übrigens nicht so, als ob es uns an Action mangelt. Während die Wochenenden, an denen sich zwei-Eltern Familien in ihre beschauliche Heile-Welt-Blase zurückziehen, früher oft langweilig und öde waren, sind wir heute ständig unterwegs. Egal ob Ponyreiten, Hüpfburg Park oder Ballett, die Mädels wollen alles ausprobieren. Das dies auch geht verdanken wir der „Kids Card“. Das ist so eine Art aufgeladene Chipkarte, die ausnahmslos jedes Kita- und Schulkind besitzt. Mit ihr werden in öffentlichen Sportvereinen, Kletterparks oder anderen sportlichen und kulturellen Veranstaltungen für Kinder Kurse oder Eintritt bezahlt. Der Clou: Da keiner weiß, wer die Karte aufgeladen hat, fühlt sich auch niemand diskriminiert. Denn ob die Eltern Geld auf die Karte überwiesen haben, oder ob die Kommune bei Geringverdienern etwas beigesteuert hat, ahnt im Zweifel niemand. Übrigens ist die Karte schon bei Geburt der Kinder mit einem kleineren Betrag aufgeladen. Das soll signalisieren, wie willkommen Kinder in unserer Gesellschaft sind. Und das spürt man derzeit auch an allen Ecken. Denn dank Image- und Aufklärungskampagnen sind die Zeiten, in denen man für unruhige Kinder in der Bahn oder im Wartezimmer böse Blicke erntete, passé. Die Blöße würde sich keiner geben, da rumzumeckern. Durch die tollen Maßnahmen der letzten zehn Jahre, die jetzt anfangen, Früchte zu tragen, ist die Erwerbslosigkeit unter Müttern schon deutlich gesunken. Die Ministerin für Familie und Feminismus, Christine Finke konnte den für die Bundesregierung erarbeiteten Maßnahmenkatalog von Mariam Tazi-Preve in den letzten Jahren gut umsetzen. „Noch eine Generation und Altersarmut ist für Frauen ein Relikt aus dunklen Zeiten“ lächelte Kanzlerin Manuela Schwesig jüngst im Hosenanzug in die Kamera. „Wir haben aus unseren Fehlern gelernt: Wir werden nicht mehr ständig nach voll berufstätigen Müttern fordern, die die Rentenkassen auffüllen, ohne auch die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass das auch gut klappt.“ Aber neben den Erleichterungen zur Vereinbarkeit von Job und Kindern, von denen übrigens alle Mütter und Väter profitieren, ist auch die Wertschätzung von „Care Arbeit“ gestiegen. Kinder sind nun sowas wie ein Statussymbol hier. Ihre körperliche und seelische Integrität ist das Ziel von allen. Das zeigt sich indirekt auch am „Zero Tolerance“-Kurs, den die Regierung gegenüber Unterhaltssündern fährt. Die dürfen sich schon seit einer Weile überlegen, ob sie lieber Sozialstunden ableisten, wenn sie sich beim Prellen erwischen lassen, oder gleich ihren Führerschein abgeben. Nicht, dass Frauen auf Unterhalt angewiesen wären, bei dem schon erwähnten Gesetz für Home-Office und dem nachjustierten Gesetzeswerk für das bedingungslose Rückkehrrecht in Vollzeit (die für Mütter von Kindern unter zehn Jahren 35 Stunden pro Woche bedeutet).
Alleinerziehend zu sein ist etwas relativ Normales.
Doch auch andere Statistiken lesen sich schon viel besser, als noch vor einer Dekade. Die zur häuslichen Gewalt zum Beispiel. Da es weniger strukturelle Probleme für Alleinerziehende gibt, ist es nun leichter als früher, die Koffer zu packen und zu gehen, wenn eine Beziehung destruktiv wird. Da wir Frauen wissen, dass gut psychologisch geschulten Jugendämter und Familienrichter uns schützen, können wir es uns leisten, Männer zu verlassen, die uns nicht gut tun. Meine jüngere Cousine Hanna war beispielsweise ein paar Monate als Beraterin obligatorisch im Frauenhaus, bevor sie Familienrichterin werden konnte. Carola Fuchs Buch „Mama zwischen Sorge und Recht“ hat sie damals auch gelesen, das wird jungen Juristinnen und Juristen ja auch im Referendariat beim Familiengericht ans Herz gelegt. Hanna hat viel gelernt in der Zeit und ist hochmotiviert, Streitigkeiten nicht noch zu befeuern, sondern sensibel mit den Beteiligten umzugehen. Aus ihrer Arbeit berichtete sie jüngst, dass das wieder verstärkt in den Fokus genommene Prinzip der Kontinuität in Sorgerechtsverfahren so manch einem Gerichtsstreit, der ansonsten jahrelang Nerven und Staatskassen belastet hätte, frühzeitig den Wind aus den Segeln nehme. Was die Mehrheit der Väter dann wiederum motiviert hat, sich schon nach der Geburt gleichberechtigter in die Kinderpflege einzubringen. Alles in allem läuft es also. Alleinerziehend zu sein ist keine Katastrophe, sondern etwas relativ normales, was sich mit ein bisschen Hilfe fast immer gut anfühlt. Die Kinder entwickeln sich ganz prima, sie erleben ihre Mama ja auch als entspannt. Von meiner eigenen Mutter habe ich da ganz andere Stories gehört, diese Zeiten wünscht sich sicher kein Mensch zurück.“