Sorgerechtsdrama "Nach dem Urteil" – Kino-Rezension

Xavier Legrand führt in seinem Film mit schonungsloser Normalität die Eskalation einer Trennung mit Kindern vor….

Rezension eines selbst betroffenen Menschen

Gleich vorab: Xavier Legrand führt in seinem Film mit schonungsloser Normalität die Eskalation einer Trennung mit Kindern vor. Die hervorragende Schauspielleistung aller macht den Film zu einem tief berührenden Ereignis, so dass es genauso gut eine Erfahrung im Freundes- und Bekanntenkreis oder der eigenen Familie sein könnte.

„Nach dem Urteil“ ist der erste abendfüllende Film des französische Filmemachers, für den er bereits einen Silbernen Löwen in Venedig gewann. Er zeichnet das ständige Dilemma nach, dass Reputation in Gesellschaft und im Berufsleben gegen Verzweiflung und Überlastung in der Care-Arbeit aufgerechnet wird. Dass direkte Gewalt, Drohungen und Grenzüberschreitungen nicht aufhorchen lassen, sondern an Beweiskriterien gemessen werden und damit völlig unbeachtet bleiben. Und dass immer noch – oder wieder – die Haltung herrscht, dass Kinder ihren Eltern folgen sollen und ihre Rechte eigentlich nur Pflichten sind.

Kinder’rechte‘ sind eigentlich Pflichten

In der Anhörung des kleinen Julien (11) nimmt man ihn dementsprechend auch nicht ernst, sondern fügt ihm weitere Gewalt zu, obwohl er bereits äußert, dass er Gewalt ausgesetzt ist und sich dieser entziehen will. Sein „Recht auf beide Eltern“ steht über seinem Willen, er muss es wahr nehmen, obwohl er erklärtermaßen nicht will, auch körperlich sichtbar mit Abwehr reagiert. Dass er wahrnimmt, dass seine Mutter bedroht ist, und sie schützen will, wird der Mutter zur Last gelegt und nicht als Alarmzeichen gesehen.

Nach dem Urteil zeigen sich keine Engel, keine Übermutter, kein Supervater (aber auch kein Monster), keine Vorzeigekinder, auch keine perfekten Freunde, sondern ganz normale Menschen, ganz normale Fehler in Umgang, Erziehung und Lebensgestaltung. Aber während die Mutter resigniert und verzweifelt einfach nur den Rückzug sucht, sich der Bedrohung entziehen und ihre Kinder schützen will, stürzt der Vater sich in Kränkung und Verlust. Er gibt nichts, um Vertrauen geschenkt zu bekommen, sondern fordert nur das Ende seiner Kränkung ein, die Wiederherstellung seiner Wunschwelt. Ein unmöglicher Anspruch.

Gleich knallt’s

Dabei eskaliert er in seiner Kränkung immer mehr, missachtet immer stärker die Grenzen aller, ob die seiner Ex-Frau, seines Kindes oder seiner eigenen Eltern. Er nimmt gar nicht wahr, dass er es ist, der dadurch alle, auch seine Kinder, immer weiter von sich weg treibt und zunehmend seine Menschlichkeit verliert.

Trotz erschreckender Kulmination erspart der Film den ZuschauerInnen die in Deutschland fast zweitägliche tödliche Folge dieser Eskalation: denn er ist nicht darauf angelegt, Sensation zu heischen, lässt die ZuschauerInnen deshalb aber nicht weniger betroffen zurück.

Triggerwarnung: Wer selbst solche Gerichtsverfahren durchgestanden hat oder gerade durchsteht, kann durch den Film getriggert werden.

 

 

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