Wechselmodell – Die Checkliste fürs Kindeswohl

Die Checkliste ‚Wechselmodell‘ aus der Praxis

Wenn Eltern sich trennen, ist das meist eine deutlich kompliziertere Angelegenheit als eine Trennung ohne Kinder. Inzwischen taucht in solch einer Situation auch das Wechselmodell als eine weitere Möglichkeit der Betreuung gemeinsamer Kinder auf.

Ob und unter welchen Bedingungen ein Wechselmodell für Kinder sinnvoll sein kann, haben wir als Checkliste Wechselmodell zusammengestellt. Sie umfasst die Rahmenbedingungen, die für ein Aufwachsen von Kindern im sog. WM unbedingte Voraussetzung sind. Die Liste basiert auf unseren eigenen praktischen Erfahrungen mit dem Wechselmodell im Alltag und berücksichtigt außerdem den derzeitigen Forschungsstand (interessengeleitete Studien, sog. junk science, haben wir dafür unberücksichtigt gelassen). Spoiler: Die Messlatte liegt hoch. Ein WM ist nur in eher seltenen Fällen möglich und sinnvoll.

Hier also die ultimative Checkliste Wechselmodell, die sich am Wohlergehen und den Bedürfnissen der Kinder orientiert:

Checkliste Wechselmodell

Ein Wechselmodell kann dann positiv für Kinder sein, wenn folgende Kriterien erfüllt sind:

1. Die Eltern entscheiden sich freiwillig miteinander für ein Wechselmodell.

Freiwilligkeit erhöht deutlich die Wahrscheinlichkeit selten(er) auftretender Konflikte. Konflikte zwischen Eltern belasten Kinder nachweislich i m m e r am meisten. Im Wechselmodell sind sie Konflikten direkter ausgesetzt und werden deshalb dadurch mehr belastet als z.B. im Residenzmodell mit Umgangsregelung. Gerichtliche Vergleiche oder gerichtlich angeordnete Mediationen tragen nur selten zur  „Elternkonflikt“-Lösung bei, sondern überdecken diese nur. Sie stellen daher keine geeignete Basis für ein Wechselmodell dar.[1]

2. Die Eltern pflegen eine gute, kooperative Kommunikation auf Elternebene.

Das ist eine essentielle Grundlage für den deutlich höheren Abstimmungsaufwand in einem Wechselmodell sowie eine kindzentrierte statt eigeninteressengeleitete Sicht auf das Kind und sein Wohlergehen, vgl. dazu auch 6.

3. Die Eltern verfügen beide über ein entsprechend hohes Einkommen.

Ein Wechselmodell verdoppelt nahezu die Kosten. Nur, wenn beide Elternteile über ein genügend hohes Einkommen verfügen[2], sind sie in der Lage, jeweils alleine einen Haushalt in der nötigen Größe mit allen laufenden vollen Kosten wie Miete, Heizung etc., aber auch für die Kinder (Kleidung doppelt, Spielsachen doppelt usw.), finanzieren zu können. Kindesunterhalts-Pflichten zwischen den Eltern bei unterschiedlicher ökonomischer Ausstattung sind so gut wie nicht durchsetzbar, da sie durch die derzeitige Gesetzgebung regelmäßig ausgehebelt werden (wg. Verpflichtung zu 100% Erwerbsobliegenheit: Anrechnung von fiktivem Vollzeit-Einkommen bei Teilzeit oder SGB II-Bezug). Ein Rechtsanspruch auf Unterhaltsvorschuss existiert im Wechselmodell ebenfalls nicht. Das führt derzeit häufig zu einer ökonomischen Schieflage zwischen den Elternhäusern, wenn z.B. die Mutter in der Teilzeitfalle festsitzt oder als „Alleinerziehende“ einen Job sucht, der außerdem zu den Wechselzeiten der Kinder passen muss. Die Folge: (asymmetrische) Kinderarmut. Und Armut macht Kinder krank.

4. Die Elternhaushalte liegen sehr nah beieinander.

Nur unter dieser Voraussetzung können Kinder in ihrem sozialen Umfeld bleiben und werden nicht ständig aus diesem herausgerissen. Andernfalls verlieren sie ihren „festen Platz“ innerhalb ihrer sozialen Gruppen, und sind überall immer nur zu Gast.

5. Geschwisterkinder wechseln gemeinsam im gleichen Intervall zwischen den Elternteilen.

Oft passiert es, dass aufgrund unterschiedlichen Alters Geschwisterkinder verschiedene Wechselintervalle haben. Das führt dazu, dass Geschwister auseinandergerissen werden und sich seltener sehen: weil sich das eine Kind in Haushalt 1, das andere Kind in Haushalt 2 aufhält und die zeitlichen Überschneidungen, in denen Geschwister sich zur selben Zeit in ein und demselben Haushalt aufhalten, deutlich reduziert ist.

Ein Sonderfall sind Halbgeschwister, bei denen nur ein Kind zum getrennten Elternteil wechselt, das andere Geschwisterkind in der neuen Familie bleibt. Für das Wechselkind kann sich das Gefühl einstellen, nur zu Gast zu sein, nie richtig Teil dieser Familie zu sein. Es „verpasst“ die Hälfte der Zeit.

6. Die Wechselkinder verkraften das Wechseln oder dürfen damit aufhören.

Nicht jedem Kind gelingt das Wechseln problemlos, selbst wenn alle anderen Rahmenbedingungen gegeben sind.[3] Hier ist es dringend geboten, dass beide Elternteile immer im Sinne des Kindes handeln und ggf. das Wechseln beenden, wenn das Kind damit nicht zurechtkommt.

Da Kinder jedoch häufig in einen Loyalitätskonflikt geraten und keinen Elternteil enttäuschen wollen, äußern sie oft nicht, dass sie das Wechseln nicht aushalten. Deshalb ist eine absolut kindzentrierte Haltung beider Elternteile unabdingbare Voraussetzung für ein – für das Kind gelingendes – Wechselmodell, das dem Kind immer auch die Möglichkeit lassen muss, damit aufzuhören. (Kindeswohl im engeren Sinne)

7. Gleichwertige Bindungen

Die Kinder haben gleichwertige Bindungen zu beiden Elternteilen, so dass ein Wechselmodell im Sinne des Kontinuitätsprinzips die Vortrennungssituation weiterführt.

8. Auf Wunsch des Kindes

Das Kind äußert den eigenen Wunsch, zu gleichen Teilen bei beiden Elternteilen leben zu wollen.

9. Alter des Kindes

Kleinkinder bis zum Alter von ca. 5 – 6 Jahren sollten nach Möglichkeit in einem festen Zuhause leben. Der „Lebensmittelpunkt“ kennt keinen Plural. Säuglinge und Kleinkinder können zwar zu mehreren Personen Bindungen aufbauen, jedoch bilden sich bei fast allen Kindern Bindungshierarchien heraus, welche bewirken, dass ein teilweiser Verlust einer in der Bindungshierarchie höher stehenden Person für das Kind ein Schadensrisiko darstellt. Darüber hinaus sollten besonders Kleinkinder im Interesse der Entwicklung der inneren Stabilität eine Kontinuität von Orten und sie umgebenden Gegenständen erfahren.[4]

Nur, wenn diese Kriterien erfüllt sind, können Kinder gut und annähernd unbeschwert trotz Trennung der Eltern in einem Wechselmodell aufwachsen.

Diese Checkliste steht als PDF zum Download hier zur Verfügung.

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[1] In den verbreiteten Studien zum Wechselmodell wird das Konfliktniveau in den meisten Fällen gar nicht erhoben, weshalb aus diesen keinerlei Aussagen zum „positiven Effekt von Wechselmodellen“ für Kinder möglich sind.

[2] Vgl. diverse Studien zu Wechselmodellen, in denen regelmäßig in Fällen von funktionierenden Wechselmodellen der hohe sozioökonomische Status der Familien auffällt.

[3] Vgl. z.B. die Längsschnittstudie von Ottosen, Stage & Jensen, Kopenhagen 2012: Die dänischen Studienautoren des SFI (The Danish National Center for Social Research) stellten fest, dass das „Wechselmodell 50/50 nur dann im Interesse des Kindes wirken kann, wenn es ein hohes Maß an elterlicher Zusammenarbeit, Informationsaustausch und Kommunikation zwischen den Eltern über das Wohl des Kindes gibt, elterliche Flexibilität und Großzügigkeit (…) Wenn eine solche Regelung auf einem elterlichen Konflikt beruht oder Eltern ‘ihren gleichen Anteil’ wie in Salomons Urteil geltend machen, dann ist diese Regelung möglicherweise nicht im besten Interesse des Kindes“. https://pure.sfi.dk/ws/files/235469/1216_Deleboern_i_tal.pdf.

[4] Vgl. Dettenborn, H., Walter, E., Familienrechtspsychologie, 3. Aufl. Neuausg., 2016, S. 212, https://bit.ly/2SD5xwv .

photo credit: Mi Pham / ISO republic

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